Neun Jahre lang warteten Holger und seine Frau auf einen Gewinn in der GreenCard Lotterie, als es im Jahr 2017 endlich klappte. Wie unerwartet die Nachricht einschlug und welche Höhen und Tiefen die Familie während ihrer Auswanderung nach Kansas City durchlebt hat, erzählt Holger uns im Interview.
Das weiß ich tatsächlich noch sehr gut. Ich war gerade auf dem Heimweg von meinem brandneuen Job, den ich erst seit vier oder fünf Wochen hatte — mein absoluter Traumjob als Trainer für ein Lebensmittelunternehmen. Ich fuhr mit der U-Bahn nach Hause, schaute ein bisschen auf meinem Handy herum und fand die E-Mail von The American Dream mit der Nachricht, dass ich in der Green Card Lotterie gewonnen hätte.
Ich war voller Spannung und Freude, aber man glaubt das ja erstmal nicht. Ich klicke auch nicht einfach auf Links in E-Mails, also habe ich selbst eine Mail an The Amerian Dream geschrieben und auf eine Bestätigung gewartet. Mit meiner Frau habe ich aber schon gesprochen. Und als dann die Bestätigung kam, war die Freude groß! Aber da war auch eine große Unsicherheit.
Wir standen mitten im Leben in Österreich, also in Wien. Wir hatten eigentlich alles, was wir uns vorstellen konnten: tolle Jobs, eine tolle Wohnung, und das zweite Kind war auf dem Weg. Also war da erstmal viel Ungewissheit in dem Moment. Wir haben uns gefragt: Was passiert jetzt?
Wir haben beide schon mal in den USA gewohnt - ich als Au Pair und später beruflich in einem Traineeship. Meine Frau ist sogar in den USA aufgewachsen, weil ihr Vater dort gearbeitet hat. Das heißt, wir hatten beide bereits eine USA-Vergangenheit.
Aber obwohl wir beide schon in den USA gearbeitet haben, hat es mit der GreenCard damals nicht funktioniert. Wir hatten sogar jährlich Reisen in die USA unternommen und versucht, immer wieder Kontakte aufzubauen und auch zu halten. Aber wir wussten, dass die Chance auf eine GreenCard fast ausgeschlossen war.
Mit dem Wissen von heute würden wir uns sicherlich anders vorbereiten und versuchen, uns die Voraussetzungen für die Einwanderung sozusagen zusammenzubasteln. Aber damals haben wir uns dann entschieden, erstmal nach Österreich zurückzugehen.
Trotzdem war die Entscheidung klar: Wenn es irgendwann noch einmal die Möglichkeit gibt, in die USA zu gehen, dann werden wir es machen. Und dann haben wir neun Jahre lang bei der GreenCard Lotterie mitgemacht.
Wir haben uns gesagt: Wenn es passiert, dann werden wir etwas draus machen. Wenn es aber nicht passiert, ist es auch ok. Wir hatten ja ein glückliches Leben und waren zufrieden, wo wir waren. Aber wir hatten sehrwohl immer unsere Fühler ausgestreckt.
Die größte Hürde war, dass gerade unser zweites Kind auf dem Weg war. Und das wirft dann schon die Frage auf: Will man das machen? Wir hatten eine sehr niedrige Case-Nummer, und dementsprechend war klar, dass unser GreenCard-Interview sehr früh stattfinden würde - also wahrscheinlich zwischen Oktober und November.
Unsere Tochter ist aber erst Mitte September geboren. Und somit wussten wir, dass die Aktivierungsreise und die ganzen anderen ersten Schritte schon im ersten halben Jahr dieses kleinen Wurschtels passieren würden. Wir wollen aber eigentlich nicht mit einem sechs Monate alten Baby reisen.
Unser erster Versuch war, die Botschaft zu kontaktieren, um zu sehen, ob wir unseren wahrscheinlich sehr frühen Interviewtermin verschieben können. Die waren sehr nett und unterstützend. Aber sie haben auch sehr deutlich gesagt: Wir können euch zwar nach hinten setzen, aber es besteht dann auch das Risiko, dass ihr kein Interview mehr bekommt. Sich in der Liste für das GreenCard-Interview zurücksetzen zu lassen, ist also mit dem Risko verbunden, dass man sich die Chance auf eine Auswanderung in die USA verspielt. Deswegen haben wir uns letztendlich entschieden, doch in das frühe Interview zu gehen.
Wir haben uns alles ganz genau angeschaut und dann gesagt: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Hopp oder Top — wir machen das! Und wenn es nicht funktioniert, dann gehen wir halt einfach nach Hause zurück.
Das Interview in der Botschaft war am 2. November. Unsere zweite Tochter ist jetzt fünf Jahre alt, aber den Pass von damals hat sie noch. Auf ihrem Passfoto ist sie gerade mal drei Tage alt. Das vergisst man nicht.
Wir waren bestens vorbereitet und haben für unsere einwöchige Reise einen Direktflug von Wien nach Chicago gebucht. Einen, der unter der Woche geht und nicht am Wochenende, weil in Chicago gerade an Wochenenden der Flughafen sehr voll ist. Und wir haben Sitze reserviert, wo wir das Babybett direkt davor haben.
Aber trotz aller Vorbereitung gab es natürlich trotzdem Hürden: Unsere ältere Tochter wurde zwei Tage vor der Reise krank und das war ein riesengroßer Stress für uns alle. Dann waren wir am Flughafen und es gab einen Bodenpersonal-Streik. Der Flug wurde verschoben, weiter verschoben, noch weiter verschoben…
Anna wurde immer wieder krank kurz vor den Reisen. Dieses Mal hatten wir ihr über den genauen Termin nichts gesagt (Überraschungsfaktor) und prompt der Streik! Und obendrauf die bange Angst, ob sie dann bis zum neuen Abflug am nächsten Tag auch wieder krank wird. Anna ist seitdem nie mehr vor einer Reise krank geworden!
Wir haben in Wisconsin Freunde, die uns bei der Vorbereitung sehr viel geholfen haben, und die haben wir dann besucht. Wir konnten auch Unterlagen zu ihnen schicken lassen — also zum Beispiel die GreenCard — und uns dort für eine Adresse anmelden.
Wir haben ein Bankkonto eröffnet, uns amerikanische Telefonnummern besorgt und auch schon unseren ersten Einkauf für das noch nicht existente Haus gemacht. Wir wussten schon immer, was unser erster Kauf sein wird: eine Kitchen Aid — der amerikanische Küchentraum!
Es war eine stressige Woche. Ein 7-jähriges Mädel dabei und ein wenige Monate altes Hascherl, dass du die ganze Zeit durch die Gegend trägst. Da bist du doch etwas eingeschränkt. Und im März ist es in Chicago auch noch einigermaßen kalt. Allein das an- und ausziehen ist da schon herausfordernd. Aber wir haben die Zeit in Chicago sehr gut genutzt.
Wir haben angefangen, den eigentlichen Umzug in die USA zu planen und mussten uns einige Fragen stellen: Womit beginnen wir? Wo wollen wir hin? Sollen wir erst nach einem Job suchen oder fangen wir mit einem Haus oder einer Wohnung an?
Wir haben also noch mehrere USA-Reisen unternommen — immer einzeln, um den Kids möglichst wenig Stress mitzugeben. Mal bin ich gereist, mal meine Frau, mal einer mit den Kindern zusammen und so weiter.
Das war auch wichtig, um die Regeln der US-Regierung einzuhalten: Du musst regelmäßig in die USA einreisen und bekommst als GreenCard-Inhaber an der Grenze auch immer wieder die Frage gestellt, wann du denn auswanderst.
Bei unseren gemeinsamen Urlauben haben wir uns Häuser und Orte angeschaut und uns letztendlich auf zwei Gegenden festgelegt: Eine war nördlich von Chicago, wo auch unsere Freunde wohnen. Wir kennen die Ecke und es ist eine wirtschaftlich aufstrebende Gegend wo z. B. auch HARIBO ein Werk gebaut hat.
Unsere zweite Möglichkeit war Kansas City. Auch da hatten wir schon Freunde. Eines meiner Gastkinder aus meiner Au Pair Zeit hat in Kansas City gewohnt und uns mit einer Maklerin in Kontakt gebracht. Daraus ist eine richtig gute Partnerschaft geworden. Die Maklerin hat uns sehr geholfen und toll durch die erste Zeit gebracht.
Letztlich haben wir durch diesen Zufall als erstes unser Haus gekauft. Der ausschlaggebende Besuch, der dazu geführt hat, war ein 7-tägiger Aufenthalt, während dessen wir uns ganze 75 Häuser angeschaut haben! Im Sommer 2019 sind wir dann ausgewandert.
Ich glaube, es ist die Freiheit. Eine Menge Platz zu haben, sich ein großes Haus leisten zu können und so nah dran zu sein an all den Dingen, die wir lieben. Und unsere Kinder zweisprachig erziehen zu können. Wir haben uns schnell eingewöhnt und leben hier unseren amerikanischen Traum!
Wir hatten das Glück, ein Zuhause in einer tollen Stadt und einer tollen Gegend zu finden — sind in einer Nachbarschaft mit richtig tollen Menschen. Viele haben hier junge Kinder, was natürlich sehr hilfreich ist, wenn du selbst Kinder hast.
Weil wir ja vorher schon in den USA gelebt haben, waren uns einige Nachteile auch schon vorher bewusst: Du hast z. B. weniger Urlaub und musst härter arbeiten. Du bist hier deines eigenen Glückes Schmied — im besten Sinne.
Freiheit heißt: Hier gibt es weniger Regeln als in Österreich und Deutschland, wo alles regulierter und starrer ist. In den USA können wir unser Ding machen. Wenn du hart arbeitest, kannst du erfolgreich sein. Du weißt, du musst dafür eine Menge tun.
Wir haben dafür ein tolles Zuhause aufgegeben. Das muss dir schon bewusst sein, wenn du nach Kansas in die amerikanische Prärie auswanderst, wo es scheinbar nur The Wizard of Oz, Sonnenblumen und Tornados gibt.
Ich musste mich auf eine ganze Menge Dinge neu einstellen. Wie erwähnt: Ich hatte in Österreich gerade meinen Traumjob gefunden als Trainer für ein Lebensmittelunternehmen. Und auf einmal stand ich in einem neuen Land und musste mich komplett neu beweisen. Ich glaube, dafür muss man offen sein. Ich musste ein paar Schritte zurückgehen und das hat mich verändert.
Ich hatte mir auch vorgenommen, eine neue Offenheit für mich zu finden. Man kennt ja die amerikanische Gastfreundschaft aus Film und Fernsehen oder von Erzählungen, und wir haben von Anfang an versucht, das entsprechend anzugehen, also z. B. bei den Nachbarn anzuklopfen und zu sagen: Wir sind die Neuen und wir wollen uns vorstellen.
Sich in das amerikanische Leben einzufügen, das im Tagesrhythmus sehr strukturiert ist, war auch eine Herausforderung. Die richtige Mischung zu finden aus dem eigenen, europäischen Lebensstil und dem amerikanischen Lebensstil, das musste ich erstmal für mich selbst hinbekommen.
Ich bin auch noch in einer Zeit aufgewachsen, als es hieß: Wenn deine Arbeit um zwei Uhr nachmittags anfängt, dann bist du um zwei auch bereit zum Arbeiten. In den USA habe ich es aber so kennengelernt: Arbeitsbeginn um zwei Uhr heißt, dass die Leute um fünf nach zwei zur Arbeit zu kommen. Das war für mich eine vollkommen neue Sache.
In einem ehemaligen Job, wo ich morgens oft den Store eröffnet habe, war das für mich ein Problem: Du kommst um sieben Uhr morgens zum Aufmachen und deine 7-Uhr-Mitarbeiter sind nicht da! Da denkst du: Wie kann das sein?
Über die Zeit lernt man dann: Die tauchen alle in den nächsten Minuten auf. Und man bereitet seinen Tag einfach anders vor. Ich bin morgens herumgegangen, habe die ersten Kassen angeschaltet und das Geschäft einfach anders eröffnet.
Ich war dann trotzdem um sieben Uhr startbereit und der erste Kunde konnte auch um sieben Uhr kommen. Das war zwar dann Self-Checkout, aber ihm konnte geholfen werden. Das sind Dinge, in denen man sich in den USA einfach anpassen muss.
Flexibilität und Kreativität. Meine Frau und ich haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Sie hatte ihren Traumjob gefunden im neuesten, schicksten, größten Hotel in Kansas City, das kurz vor der Eröffnung stand. Und dann kam der Lockdown und es ging nicht weiter.
Wir hatten große Pläne gemacht und auch ein Au Pair eingestellt, und dann fehlte plötzlich ein komplettes Gehalt. Dann musste sie kreativ werden, denn der große Unterschied ist ja: Du hast in den USA kein monatliches Festgehalt, sondern du verdienst nur Geld, wenn du auch arbeitest.
Sonja hat dann nebenbei Jobs angenommen, unter anderem als Babysitter. Daraus sind tolle Freundschaften entstanden. Der eine brauchte halt in COVID-Zeiten einen Babysitter und der andere brauchte Geld, und so hatten wir letztlich einige Kinder hier.
Anschließend ist meine Frau dann ein bisschen durch die Jobs getingelt, bis sie den Aufstieg in einer Firma in Kansas City geschafft hat.
Ich habe mittlerweile meinen eigenen Store, den ich leite. Da bin ich ein bisschen weniger tolerant und flexibel, weil ich Verantwortung für den täglichen Umsatz trage. Insofern setze ich meine Regeln schon sehr deutlich um. Wenn es heißt, du bist um sieben Uhr da, dann bist du um sieben Uhr fertig zur Arbeit.
Ja und nein. Ich bin sehr froh darüber, wie sich meine Karriere entwickelt hat. Auf der anderen Seite wäre ich es im Nachhinein wahrscheinlich anders angegangen. Ich kam aus dem europäischen System, und auch wenn ich vorher Trainer war, hatte ich natürlich meine eigenen Regeln und Gradlinigkeiten.
Der Österreicher an sich ist auch hin und wieder dafür bekannt, ein bisschen ruppig zu sein. Das ist der Amerikaner überhaupt nicht gewöhnt. Ich habe mich am Anfang also sehr viel dafür entschuldigt, wie ich manchmal rede, und ich bin das eine oder andere Mal auch auf Unverständnis gestoßen.
Die deutsche oder österreichische Gradlinigkeit wird hier manchmal missverstanden, aber sie hat auch Vorteile. Wenn man z. B. Ziele hat und Standards umsetzt, sich die Dinge zum Erfolg wenden und du siehst, dass deine Kennzahlen nach oben gehen, dann zeigt sich, dass Gradlinigkeiten und Regeln schon nicht verkehrt sind.
Ganz wichtig ist glaube ich auch, den Leuten einfach beizubringen, dass man es nicht böse meint. Man kommt aus einem anderen Land, aus einer anderen Kultur, man hat die Dinge einfach anders gelernt.
Ich glaube, das aller wichtigste ist, sich gut auf das Leben in den USA vorzubereiten. Ich würde die Dinge nicht überstürzen. Es gibt zwar Zeitlimits, zum Beispiel für die GreenCard-Aktivierungsreise, und man muss regelmäßig einreisen und irgendwann auch definitiv auswandern, aber ich würde es trotzdem ruhig angehen lassen.
Erstmal hinsetzen und Pläne machen: Wo möchte ich hin? Was möchte ich tun? Wer noch nicht sehr USA-erfahren ist, sollte die eine oder andere Reise unternehmen, um das Land ein bisschen kennenzulernen.
Und versuchen, Kontakte aufzubauen. Das hat uns ganz groß geholfen. Wenn man zum Beispiel an die Jobsuche in den USA denkt, dann macht es vieles einfacher, wenn man schon eine amerikanische Telefonnummer oder eine amerikanische Adresse vorlegen kann.
Ich sehe das auch bei mir selbst: Wenn ich Bewerbungen aus dem Ausland, also mit einer nicht-amerikanischen Postadresse bekomme, dann werden die erstmal aussortiert. Da kommt sofort nämlich die Visafrage auf.
Und ganz wichtig: Nicht einschüchtern lassen! Es werden Rückschläge kommen, und die gehören dazu! Unsere wilde Zeit mit COVID ist das beste Beispiel. Wer es ein bisschen clever angeht, sich gut vorbereitet und sich ein bisschen Zeit nimmt, der kann den amerikanischen Traum leben!